02.07.2022: Wenn auf einem Schiff alle Kräfte nötig sind, dann wird die Mannschaft mit den Worten zusammengerufen: „All hands on deck!“ Dies Kommando griff die Leiterin des Stockholm Environment Institute (SEI), Dr. Åsa Persson, auf der UN-Nachhaltigkeits-Konferenz Stockholm+50 auf. In einem anderen starken Appell unterstrich die ehemalige schwedische Umweltministerin, Isabella Lövin, dass wir als Gesellschaft unsere Beziehung zur Natur neu definieren müssen – zu einer „living nature“.

Sehr begeistert hatten mich ja bereits die ersten Seemeilen von Lübeck gen Norden, auf Öland konnte ich voller Freude schreiben, dass wir „weitere Schritte gen Stockholm & Nachhaltigkeit“ vorwärtskommen. Denn dies fühlte sich nach dem gewaltigen Refit im Winter, in dem unser Schiff drei Monate in einer Halle an Land stand, oftmals so an, als ob unsere gute SAMYRAH sich wirklich Stück für Stück in ihr Element wieder einleben müsse und auf der Tour beispielsweise am neuen Großmast alle Abspannungen wie „feingestimmt“ werden mussten. Ja, auf dem Schiff, welches knarzt und manchmal fast „Schnaufen“ kann, da kommt der Seemann schnell drauf, dass es geradezu „lebendig“ ist. Und es wirkte Anfang Juni so, als ob sich nicht nur die Mannschaft sehr darüber freute, nach 786 Seemeilen die schwedische Hauptstadt erreicht zu haben…

Ja, es war eine riesige Freude und Erleichterung, dass wir rechtzeitig in Stockholm waren! Auch da wir mit großartigen Etappen zwischendurch fast nach Norden „geflogen“ waren: direkt nachdem ich im Blog noch vorsichtig gehofft hatte, dass wir unsere Segel Nr. 5 & 6 setzen können, unmittelbar nach diesen Worten gingen sie hoch an die 15 und 22m hohen Mastspitzen – und blieben dort für knapp 150 Seemeilen! Dieser phantastische Ritt unter Vollzeug für über 24 Stunden fühlte sich unglaublich lang an und war Seglerglück pur – und doch ja nur ein so kurzer “Wimpernschlag” im Vergleich zu den fünf Jahrzehnten, die seit dem ersten Umweltgipfel 1972 in Stockholm vergangen sind. Von diesem gingen damals starke Appelle für einen nachhaltigen Umgang mit der Natur aus. Darunter solch kraftvolle Worte wie diejenigen der Eröffnungsrede des kanadischen UN-Sonderbeauftragten Maurice Strong: „Alle gemeinsam sind wir von der Gesundheit unserer einen und einzigen Erde abhängig.“ (weitere Auszüge sind hier wiedergegeben).

Auf der diesjährigen Konferenz wurde immer wieder die Dringlichkeit betont, dass JETZT gehandelt werden müsse – denn ein entschiedenes Handeln eröffne eine bessere Zukunft („Unlocking a Better Future“), wie es gleich im Titel eines sehr umfangreichen wissenschaftlichen Berichtes heißt. Dieser Bericht wurde als ein „Schlüssel“ für eine bessere Zukunft angesehen, auf die mit deutlich größerer Anstrengung und einer starken Beschleunigung des Handelns zugegangen werden müsse – wie unter anderen Dr. Åsa Persson betonte.

Beschleunigung ist beim Segeln ganz klar eine schwierige Sache. Doch wenn man den inneren Antrieb, den Vorwärtsdrang auch bei ungünstigem Wind und die absolute Unterordnung und gleichzeitige Nutzung der Naturkräfte nimmt, dann kann auch beim Segeln schon mal praktisch umgesetzt werden, was auf der Konferenz gefordert wurde. Und sehr widrige Winde zwischen nahezu Flaute und bis zu Starkwind genau aus der Richtung, in die wir wollten, dies war eine gute Schule der Entschlossenheit für uns! Bereits die 500 Seemeilen Entfernung von Stockholm bis Kiel, für die uns zwei Wochen Zeit blieben, sind für ein traditionelles Schiff von 20m Länge recht sportlich. Doch durch das Aufkreuzen gegen anfangs Südwinde, später – als wir an der Südspitze Schwedens waren – dann Südwestwinde wurden es 792 Seemeilen, die wir dank zahlreicher Nachtfahrten noch gerade so im Zeitfenster schafften. Doch umso größer ist dann die Freude, wenn das Ziel erreicht wird! Ein großartiges Erlebnis besonders für die vier aus der Crew, die von Lübeck via Kopenhagen und Stockholm nun die insgesamt 1.578 Seemeilen mitgesegelt waren: für den Geographen Prof. Dr. Malte Steinbrink, den Journalisten und Betreiber des Segelwerkes Jörg Pfeifer, den klasse schweizer Seemann Samuel Hagnauer, der auch Bootsmann der AVONTUUR war, und ebenso für mich selbst.

Viele Eindrücke sind noch ganz frisch, müssen und wollen noch verarbeitet werden, es braucht weitere Ruhe und Zeit – wenn auch ganz klar die Appelle aus Stockholm nachwirken. Nein, es soll ganz sicher keine 50 Jahre dauern, bis ein kraftvolles „All hands on deck“ erneut gerufen wird. Denn auch dieser Törn hat wieder hungrig auf weitere gemacht – und die Dringlichkeit unterstrichen, dass JETZT gehandelt werden muss.

Ich persönlich habe mich im sehr umfangreichen und herausfordernden und erst während des Törns immer weiter abgeschlossenen Refit-Projekt und vor allem auf der Fahrt in den Momenten genau in meinem Element gefühlt, wenn das Schiff unter vollen Segeln fuhr – auch gegen den Wind aufkreuzend! – und wir in bester Stimmung unserem Ziel entgegen kamen. Ich bin mir sicher, dass aus den vielen guten und tiefsinnigen Gesprächen, oftmals auch sehr ausgelassen und frei wie Wind, Sonne oder auch Regen, viel Gutes entstehen wird. Dies sind “Schlüssel” für eine nachhaltige Zukunft!