16.01.2015: Drei Wochen lang das weite, geradezu endlose Meer, wechselhafte Wolken und mal atemberaubend klare Sterne oder hellscheinender Mond pur und ohne Unterbrechung – so zeigte sich mir der Atlantik im November und Dezember letzten Jahres. Mit einer Segelyacht des Typs Beneteau First 47 (14,50m lang) überquerte ich ihn als Skipper mit achtköpfiger Crew in 20 Tagen und 20 Stunden von Teneriffa (Kanaren) zur karibischen Insel St. Lucia (Kl. Antillen).

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Was braut sich da über der Weite des Atlantiks zusammen?

Die rund 2.900 Seemeilen (5.400 Km) geben einen starken Eindruck über die riesigen Dimensionen unseres Planeten. Zusammen mit dem “Zubringer” vom spanischen Malaga zu den Kanarischen Inseln waren es insgesamt 3.800 Sm (7.000 Km). Dabei zeigen besonders die langen Seestrecken ohne Zwischenstopp wie stark abhängig wir von den ebenfalls gigantischen Vorgängen in der Natur sind. Sie schieben mit ihren enormen Kräften Wassermassen in Meeresströmen quer über den Atlantik und trieben uns mit den Passatwinden des „Luftozeans“ an. 

Mitten zwischen den Küsten Afrikas und Amerikas müssen alle Sinne geschärft sein: wie entwickeln sich die Wolken ringsum, kündigt eine über die normalerweise zwischen ein und zwei Meter hohen Wellen herausgehende Dünung einen Sturm an, was zeigen die ausgeprägten Eiswolken der Cirren oder der ringförmige “Hof” des Mondes an?

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Wolkenzauber – mit vielen Cirren!

Neben aller erforderlichen Technik an Bord bietet vor allem sehr genaues Beobachten des Umfeldes Sicherheit – und ist damit „täglich Brot“ des Seglers. Besonders mit einem winzig wirkenden Schiff auf der Weite des mächtigen Atlantiks wird unmittelbar erlebbar, wie gravierend und bedrohlich es werden kann, wenn sich auch die Naturprozesse verändern, die jahrhundertelang von zahlreichen Kapitänen als (recht) konstant beobachtet sowie in den Seehandbüchern akribisch zusammengetragen wurden und damit Grundfesten der Seefahrt bilden.

Die Wetterbeobachtungen der Logbücher werden in sogenannten “Pilot Charts” grafisch wiedergegeben. Sie zeigen in Seekarten an, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Wind aus welcher Richtung kommt und zudem, mit wievielen Flauten- oder Sturmtagen in den einzelnen Regionen gerechnet werden muss. Beispielsweise sind sie im Seglerhandbuch “Törnplanung weltweit” von 2013 wichtige Informationsquelle für ausgewählte Segelrouten, darunter natürlich auch der Atlantiküberquerung von Ost nach West auf der Südroute.

Als weitgereister Segler schreibt der Autor Jimmy Cornell zudem:

Auch der Wandel im weltweiten Klima hat in den letzten Jahren für große Verunsicherung unter den Seglern gesorgt.

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Durch das Zeichnen einer Seekarte können die Dimensionen gut begriffen und “Tages-Highlights” festgehalten werden.

Dass sich das feine Gefüge der absolut unkontrollierbar starken Naturkräfte verschiebt – und dies teilweise in kaum vorhersehbare Richtungen – verunsichert besonders dann sehr stark, wenn man der Natur so unmittelbar ausgeliefert ist. Zudem ist ein Segelschiff direkt darauf angewiesen den Wind zu nutzen. Denn selbst in dem ungünstigsten Fall, wenn die Maschine voranbringen muss und alle Kraftstoffreserven eingesetzt werden, so reichen diese normalerweise nur für Bruchteile der enorm weiten Distanzen – in unserem Fall wäre es etwa ein Fünftel der Strecke gewesen.

Vermutlich wird wohl jeder Segler daher sein Material mit höchster Sorgfalt behandeln (und dies wird wohl auch viele Träume von Skippern beschäftigen…) ebenso wie die überall an Bord verstauten Essensvorräte und besonders das Trinkwasser einen enormen Wert gewinnen. Inmitten der Weite des Atlantiks ist ein sorgfältiger Umgang mit allen Ressourcen keineswegs abstrakt, sondern gehört zu den alltäglichen Dingen wie Waschen und Kochen unmittelbar dazu.

Ein solches Umfeld erfordert ein gut funktionierendes Team, welches vor allem umsichtig und sehr aufmerksam miteinander und mit Segeln, Mast und allem was zum Boot gehört sowie allen Vorräten umgehen muss. Wenn’s da mal knirscht führt kein Weg daran vorbei auch auftretende Probleme oder Konflikte möglichst tiefgehend zu lösen – denn aussteigen geht nun mal nicht!

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Gruß vom offenen Atlantik: auch noch über Martinique türmen sich riesige Cumulus-Wolken auf – und regnen ab!

Die sehr intensiven Erfahrungen einer Atlantiküberquerung können sicherlich in den verschiedensten Bereichen Impulse geben und vielleicht sogar Grundlagen für beispielsweise einen Umgang mit der Natur sein, der von tiefer Verbundenheit und einem großen Respekt geprägt ist. Darauf sollen auch neue Segelprojekte zum Klimawandel aufbauen!

Viele Eindrücke können mit Worten oder Bildern festgehalten werden. Doch das Fiepen der Delfine, die rings um das Boot schwimmen, mit der Bugwelle spielen und mit Synchron-Sprüngen und in kuriosesten Formationen um uns herumsausten sowie der immer wieder atemberaubend klare Sternenhimmel mit vielen bei uns nicht sichtbaren Sternbildern, über den sich die Milchstraße als dichtes Band von Horizont zu Horizont zieht – dies alles lässt sich vermutlich nur direkt vor Ort wirklich eindrucksvoll erleben und dazu habe ich auch keine Bilder aufzunehmen versucht.

Doch unter anderem zu hochaufragenden Wolken kann die Bildergalerie hoffentlich ein paar Eindrücke vermitteln – bei weiterem Interesse freue ich mich auf Anfragen!

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Die Route dieser (und anderer) Segeltouren sind in der Karte unter Segelreisen eingezeichnet.

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HISTORISCHER TEXT

Alexander von Humboldt zu seiner »Südamerikanischen Reise« (1799-1804):

Seit unserem Eintritt in die heiße Zone wurden wir nicht müde, in jeder Nacht die Schönheit des südlichen Himmels zu bewundern, an dem, je weiter wir nach Süden vorrückten, immer neue Sternbilder vor unseren Blicken aufstiegen. (…) Nichts mahnt den Reisenden so auffallend an die ungeheure Entfernung seiner Heimat, als der Anblick eines neuen Himmels. (…) Dieses Schauspiel regt selbst die Einbildungskraft von Menschen auf, die den physischen Wissenschaften sehr fern stehen und zum Himmelsgewölbe aufblicken, wie man eine schöne Landschaft oder eine großartige Aussicht bewundert.